Wolfgang Hilbig-Der Ausnahmeautor


Mit der lobenden Bezeichnung „Ausnahmeautor“ sollte man sparsam umgehen. Bei dem 1941 geborenen Autor Wolfgang Hilbig trifft es aber zu.


Der Schriftsteller, viel zu früh einem Krebsleiden 2007 erlegen, wäre am 31. August 80 Jahre alt geworden. Seine Vita ist so beeindruckend, dass ein Filmproduzent einem Drehbuchautor wohl „zu viel Fantasie“ bescheinigt hätte, sollte man diese Vita verfilmen. Sie trifft aber zu! Auch dies belegt, Wolfgang Hilbig ist ein Ausnahmeautor.


Als er ein Jahr alt war, musste er als Halbwaise aufwachsen. Sein Vater kam als Angehöriger der Wehrmacht in Stalingrad ums Leben. In der DDR besuchte Wolfgang Hilbig die Schule und wurde zum Dreher ausgebildet. Mitte der 60er-Jahre durfte der Arbeiter eines Braunkohletagebaubetriebes einen Arbeitskreis „Künstlerisches Volksschaffen“ zum Thema Literatur besuchen. Dort fanden seine Werke keine Beachtung und man stellte ihm „den Stuhl vor die Türe“. Die DDR-Verantwortlichen überwachten Künstler, also auch den Arbeiterschriftsteller Hilbig. Er galt nie als „Hurra“-Schreier ob der Zustände in seiner sozialistischen Heimat. Er hatte auch keine Hemmungen, den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in die CSSR zu kritisieren. Der Autor geriet sogar in Haft. In seiner Heimat fanden seine Werke zu seinen Lebzeiten kaum Beachtung. In Westdeutschland wurden einige seiner Gedichte veröffentlicht. Da mischte sich wieder die Regierung der DDR ein und beschuldigte Wolfgang Hilbig, Devisenvergehen begangen zu haben. Entnervt verließ er mit Hilfe eines Reisevisums die DDR 1985 und lebte dann in Westdeutschland. Im Zuge der Wiedervereinigung zog er nach Berlin um.


Der Autor, Literaturkritiker und Verleger Matthias Biskupek (1950 bis 2021) war ein guter Freund von Wolfgang Hilbig. Biskupek sagte über seinen Freund u. a. folgendes aus: „Ein wohlgelittener Mann im Literaturbetrieb, der immerhin 18 Literaturpreise erhielt, aber nichts von einem Intellektuellen an sich hatte“. Ein Filmproduzent hätte Hilbig mit der Rolle eines Türstehers auf St. Pauli ideal ausgestattet. Der Autor hatte in seiner Jugendzeit einem Boxsportverein angehört und das sah man auch später seiner Nase an, die wohl seinerzeit den ein und anderen Volltreffer erlitten hatte. Von der Statur her passte Hilbig wie Faust aufs Auge zur Rolle des Rausschmeißers einer Spelunke. Zeitgenossen beschreiben ihn hingegen als gutmütigen, sanften und sehr hilfsbereiten Menschen. Er sah halt nur aus wie der „Knochenbrecher vom Dienst“. Der „Ausnahmeautor“ Wolfgang Hilbig hat es einfach verdient, dass man seine Werke würdigt.

Der 80. Geburtstag im August ist ja auch Anlass genug, Hilbig zu ehren! Diese Ehrung haben Bernard Banoun, Stephan Pabst, Sylvie Arlaud und Bénédicte Terrisse erfolgreich übernommen. Von ihnen stammen die im April im Verbrecher Verlag zu Berlin erschienenen zwei Bücher „Wolfgang Hilbig und die (ganze) Moderne" und „Wolfgang Hilbigs Lyrik. Eine Werkexpedition". 

Stephan Pabst, Carsten Gansel, Wolfgang Emmerich, Wolfgang Engler, Michael Ostheimer, Marie-Luise Bott, Carola Hähnel-Mesnard, Françoise Lartillot, Michael Opitz, Joanna Jabłkowska und Stefan Matuschek lieferten Beiträge zum Buch „WOLFGANG HILBIG UND DIE (GANZE) MODERNE“. Das Verhältnis, das Verständnis zur Moderne des Autors Wolfgang Hilbig wird untersucht. Literaturexperten platzierten seine Werke gerne in die Tradition der westlichen Moderne. Haben diese Experten Hilbig vielleicht Unrecht damit getan? Ist doch der Begriff vage definiert und trug zum Verständnis Hilbigs Texte wenig bei.

In diesem Band wird nun ein dezidiert ost-west-transzendentaler Moderne-Begriff entwickelt, auf seine Werke angewandt, wodurch erhellende Erkenntnisse entstehen. „Wolfgang Hilbigs Lyrik. Eine Werkexpedition“ bietet dem Leser sowohl eine Bilanz, ein Experiment mit neuen kritischen Ansätzen und Anregung sowie Aufforderung zur weiteren Auseinandersetzung mit einem anspruchsvollen Werk und seiner abgründig faszinierenden Sprache.


Wolfgang Hilbig war aufgrund seiner Prosawerke ein anerkannter, geschätzter Autor. Sein Roman „Ich“ aus dem Jahre 1993 sorgte für sehr große Beachtung sowohl bei Kritikern als auch Lesern. In diesem Werk soll ein Autor, der auch als Stasi-Spitzel im Einsatz ist, seinen Kollegen lückenlos überwachen. In der Lyrik sah Hilbig den Schwerpunkt seines Schaffens. Das Werk aus dem Verbrecher Verlag ist die erste Publikation, die ausschließlich der Lyrik Hilbigs gewidmet ist. Die Texte des Bandes, die auf ein deutsch-französisches Forschungsprogramm über Wolfgang Hilbig / Ost-West-Moderne zurück gehen, enthalten sowohl einen Überblick über Hilbigs lyrisches Schaffen als auch Einzeluntersuchungen. Der Autor und sein Bezug zur deutschen Romantik werden beispielsweise ebenso angesprochen wie das Schaffen von Hilbig in der Moderne.


Hier alle Angaben zu den zwei Werken aus dem Verbrecher Verlag zu Berlin:


Stephan Pabst, Sylvie Arlaud, Bernard Banoun und Bénédicte Terrisse (Hg.) „WOLFGANG HILBIG UND DIE (GANZE) MODERNE“; lfb Texte 14 Broschur, 336 Seiten, 24 Euro im deutschen Buchhandel. ISBN: 978-3-95732-478-8.


Bernard Banoun, Bénédicte Terrisse, Sylvie Arlaud und Stephan Pabst (Hg.) „WOLFGANG HILBIGS LYRIK. Eine Werkexpedition“. lfb Texte 13; Broschur, 480 Seiten, 26 Euro im deutschen Buchhandel.
ISBN: 978-3-95732-477-1.


Text: Volker Neef/Fotos: Verbrecher Verlag

Veröffentlicht am 01.06.2021